Der Bass schlug dumpf, monoton durch das Mauerwerk. Rauchschwaden kletterten die meterhohen Betonwände empor und verschwanden, weit bevor sie die Decke erreichten. Lichtstrahlen zuckten im Takt durch die schwere Luft, glitten über den Steinboden, die Wände entlang, über kleine abgedunkelte Industriefenster. Sie ließen für einen kurzen Moment erahnen, wie groß der spärlich beleuchtete Raum war. Die Uhr zeigte 5:58 Uhr. Sonntagmorgen. Neben dem Dreieck bewegten sich Berliner, Touristen, Männer mit freien, trainierten Oberkörpern und Frauen mit Crop Tops gemeinsam zum Beat. Sie bewegten sich wie Wellen, die langsam auf den Strand zurollen, kurz bevor sie in sich zusammenrollen und brechen. Zwischen den Fensterläden bahnten sich die ersten Lichtstrahlen von draußen ihren Weg in die Dunkelheit des Berliner Clubs.
Das Dreieck verbrachte ein Wochenende in Berlin. Berlin, dachte es sich, da fahren doch alle hin. Seine Unterkunft hatte es sich über AirBnB gebucht, mitten im Geschehen: in Neukölln. Auch mitten in der Gentrifizierung von vollbärtigen Hipstern, Dawanda-Öko-Mamas und den wenigen, bei denen Berlin noch als Geburtsort im Ausweis steht. Diejenigen, die wie das letzte Bataillon ausharren, bis der Hype auf einen anderen Bezirk überschlägt – Wedding soll im Kommen sein. Zwischen Bio-Company, Pop-up Burger-Läden – mit veganen Optionen und Slow-Drip-Flat-White-Kaffee-Lädchen, zwischen Restposten aus London, Späti und dem Hattrick-Wettbüro: Nur ein paar Meter von der Schönleinstraße entfernt hatte sich das Dreieck einquartiert.
Für seinen Kurztrip nach Berlin hatte sich das Dreieck ausgiebig vorbereitet und alles auf einer Things-to-do-in-Berlin-Lise zusammengefasst. Es wollte unbedingt in den Würgeengel, einen Cocktail schlürfen, in der Adalbertstraße im Maroush einen Falafel essen und im Fuchsbau ein Bier trinken. Es könnte natürlich auch im Defne Türkisch essen gehen, sich im Klunkerkranich den Sonnenuntergang anschauen und zum Ausklang in der Schwarzen Traube einen Cocktail trinken. Genug Zeit hatte es.
Gestern war das Dreieck noch wie jeder 0-8-15-Tourist durch die Hauptstadt gestiefelt. Nach einem ausgiebigen Frühstück im Sets in der Schlüterstraße hatte es sich einen Flat White To-Go im What do you fancy love gekauft und sich dann den Kurfürstendamm bis zum Tauentziehen hochgearbeitet, vorbei am Bikini Haus durch seinen Designer-Läden gestöbert und an der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche vorbei spaziert. Es ging bis zum KaDeWe, in das es nur einen kurzen Bick warf und fuhr dann mit der U Bahn vom Wittenbergplatz bis zum Kottbusser Tor.
Nach seiner Erkundungstour durch den „Alten Westen“ legte es eine kurze Verschnaufpause ein, bis es das Geräusch von zerklirrendem Glas auf Asphalt hochschrecken ließ. Draußen stolperten Easy-Jet-Setter aus Spanien durch die Novemberkälte. Einer machte es sich auf der ausrangierten Kindermatratze, die einsam und verlassen auf dem Bürgersteig lag, bequem. Der andere nahm in einem alten, nach seinem Zustand zu urteilen seit Monaten unbenutzten Kinderwagen platz, der an einer Regenrinne angekettet war, drehten sich Zigaretten und tranken ihr Tannenzäpfle. Das Dreieck stand auf uns stürzte sich ins Kreuzberger Novembernachmittagsgetümmel.
Es wollte die Shoppingtour gerade im Overkill, der Laden für Sneaker in Kreuzberg, beenden, als ihm von hinten jemand auf die Ecke tippte. Es wusste nicht, wo es zuerst hinschauen sollte: Hinter dem Dreieck stand ein Mädchen in neonfarbenen Sneakern und quietschbunten Leggings mit Batik-Muster. Sie piekste ungläubig mit dem blauen Fingernagel auf dem Dreieck herum.
„Lass das“, grummelte es und trat einen Schritt zurück. Das Mädchen begutachtete das Dreieck. „Ick glob dit nich. Freddie, dat fehlt dir noch!“ Neben dem Mädchen tauchte ein dunkelhaariger Endzwanziger auf, auf seiner Nase saß eine filigrane dunkel gerahmte Brille, er trug ein dunkelgraues offenes Flanellhemd und auf dem Rücken einen Turnbeutel mit einem schlichten Pfeil drauf. In der einen Hand hielt er seine abgetragene Lederjacke in der anderen ein Paar schneeweiße Vans SK8-Hi. Auf dem Handgelenk prangerte ein frisch tätowiertes Dreieck. „Gibt’s das auch in Schwarz? Blau ist mir echt zu bunt.“ sagte Freddie und setzte sich seine Beanie auf. „Du kommst mit“, sagte das Mädchen kurzentschlossen und trug das Dreieck zur Kasse.
Es war Sonntag morgen. Dem Dreieck zog kalte Luft um die Ecken: „Irgendwie hab ich schon wieder Hunger!“ stellte das Dreieck fest, als es mit Freddie und dem Mädchen das Berghain verließ. Gleißendes Sonnenlicht und die empfindlich kalte Morgenluft schlugen ihnen entgegen.
„Lass mal was essen gehen“, sagte es „im Reiseführer hab ich von so einem Gemüsedöner gelesen…“
„Auf jar keenen Fall“, schaute sie das Dreieck entgeistert an, „ick bin doch keen Tourist.“ Sie ging einige Schritte über den Schotterweg, der unter ihren ausgelatschten Air Max knirschte. Im Hintergrund wummerte noch der unaufhörliche Bass aus dem Berghain.
„Komm! Ick wees was“, sagte sie und stampfte weiter in Richtung Warschauer Straße, „ick hoffe, du magst Currywurst?!“
„Ja, dieses… 36?“
„NEIN!“, sagte das Mädchen erschrocken und brabbelte in ihren Schal, den sie sich wegen der Kälte bis unter die Nase gezogen hatte.
Die Anzeigentafel zeigt neun Minuten bis zur nächsten U Bahn Richtung Ruhleben. Die Spanischen Touristen vom Nachmittag saßen auf der Bank aneinander gelehnt. Augen auf halb acht. Eine einsame, halbausgetrunkene Bierflasche vegetierte auf dem Mülleimerrand. Die U Bahn fuhr ein. Und noch bevor sich die Türen öffneten und die Heerscharen von Partygängern in den Berliner Morgen entließen, konnte das Dreieck in verblasster Schrift „Du bist verrückt mein Kind, du musst nach Berlin“ auf dem gelben U-Bahn-Wagon entziffern.
Wir zeigen 2015 Köln und andere spannende Orte in Deutschland aus ungewohnter Perspektive. Das blaue Dreieck, das “A” aus dem Logo von KAMPMEYER wird begleitet von unserer Autorin Anna-Katrin Keller.
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