Mit einem Gefälle von 0,2 Grad schlängelt sich der Rhein durch Köln. Ein laues Lüftchen weht dem Dreieck um seine Ecken und zufrieden schlendert es am Ufer in Richtung Innenstadt. Unzählige Menschen spazieren an diesem Sommerabend am Wasser entlang oder haben es sich auf der Wiese bequem gemacht. Radfahrer brausen vorbei und Inlineskater fädeln sich durch die Fußgänger. Vereinzelt bahnen sich Jogger ihren Weg durch Kölner und Touristen, die die letzten Sonnenstrahlen an diesem Tag genießen wollen. Unter ihnen das Dreieck, das sich nach der vergangenen Woche nach ein wenig Ruhe und Entspannung sehnt. Bloß keine neuen Abenteuer, dachte es sich und ließ sich von den Menschenmassen ohne ein genaues Ziel mittreiben.
Eine Fahrradklingel ertönte. Dann hörte es einen dumpfen Aufprall, als wäre ein schwerer Koffer von einer Laderampe gefallen. Ein Junge lag flach mit dem Gesicht auf dem heißen Asphalt und seine Unterlippe blutete, der Schweiß vom Joggen lief ihm die Stirn herunter. „Das kann doch nicht wahr sein“, stöhnte er, „schon wieder. Langsam reicht mit das“, keuchte er und rappelte sich auf.
Das Dreieck half dem Jungen, der sich als Timo Ritter vorstellte, auf. „Timo Ritter?“, fragte das Dreieck verdutzt, „bist du zufällig verwandt mit Jana Ritter?“
„Ja, das ist meine Tante“, sagte er und wischte sich das Blut mit seinem T-Shirt von der Lippe. „Das sieht nicht gut aus, das solltest du nähen lassen“, diagnostizierte das Dreieck, das beim Anblick von Blut normalerweise schlagartig umfiel. „Das ist doch unerhört, einfach Menschen so rücksichtslos umzufahren. Den Typ habe ich nicht gesehen, aber es war ein fliederfarbenes Damenfahrrad und es stand groß Herkules auf dem Rahmen. Was meinst du mit ‘schon wieder‘?“, frage das Dreieck Timo.
„Mit passieren in letzter Zeit ständig merkwürdige Dinge. Ich bin im Leichtathletik Verein und die Deutsche Meisterschaft U16 steht an. Deswegen trainiere ich sehr viel. Letzte Woche brach mein Hochsprungstab einfach in der Mitte durch. Ich war drauf und dran meine persönliche Bestmarke zu knacken! In letzter Zeit fühle ich mich total schlapp und antriebslos, das bin nicht ich. Ich würde mich doch nicht von einem Fahrrad einfach umrempeln lassen. Gerade jetzt, wo jede Trainingseinheit zählt.“
„Das kann doch alles Zufall sein. Du trainierst einfach zu viel. Da macht der Körper schon einmal schlapp und die Konzentration geht flöten“, versuchte das Dreieck Timo zu beruhigen. „Ja schon, ich trainiere wirklich viel. Aber wie erklärst du dir dann den Vorfall letzte Woche: Ich war zu spät zum Training und der letzte in der Umkleidekabine. Mein Spint ließ sich nicht öffnen, deswegen wollte ich mir aus der Fundsachen-Kiste ein paar Spikes ausborgen. Als ich wieder raus wollte, war die Tür verschlossen. Ich habe das komplette Sprint-Training verpasst. Erst als die Jungs zurück in die Umkleide kamen, haben sie mein Hämmern gehört. Da stimmt was nicht. Tante Jana hat mir von dir erzählt, du kannst mir sicher helfen.
„Ich?“, fragte das Dreieck überrascht, „Wie sollte ich dir helfen?“
„Ich hab da eine Idee.“
Wie gerädert stieg es am nächsten Tag aus dem Bus. Die fünf Stunden Fahrt mit einem Haufen pubertierender Teenager hatten dem Dreieck stark zugesetzt. Fünf Stunden ballerte „Shake It Off“ und „What do you mean?“ von der Spotify-Playlist, begleitet von einem süßklebrigen Geruch von Gummibärchen und Popcorn, selbiges flog immer wieder quer durch den Bus und landeten vorzugsweise in den Haaren von Timos Freundin Sabine. Das Ziel: das Trainingslager in Paris. Das Dreieck hatte mit Jana ausgemacht, Timo während der letzten Vorbereitungen zu begleiten und verdeckt herauszufinden, was sich hinter den mysteriösen Vorfällen im Verein verbarg. Aber erst einmal hieß es, die Popcorn-Reste aus der Ecke zu pulen, die Gummibärchen von der Unterkante zu kratzen und die Stadt zu erkunden.
„Noch ein Stück höher. Man! Du musst das Handy noch ein Stück höher halten, sonst ist die scheiß Kirche nicht ganz drauf.“ Sabine riss Ben den Selfie-Stick aus der Hand, platzierte sich in die Mitte der Gruppe, spitze die Lippen und drückte ab.
„Das ist nicht irgendeine Kirche, das ist Sacré-Cœur de Montmartre“, schimpfte Lilly, die noch einmal schwungvoll durch ihr Haar fuhr und den Kopf zur Seite legte. „Mach noch eins.“ Hastig begutachteten beide das Ergebnis auf dem Display. „Das wird mein neues Profilbild, Leute“, sagte Sabine und öffnete, ohne auf Lillys Zustimmung zu warten, die VSCO-App.
Timo erklomm die Treppen bis zum Eingang der Basilika. Das Handy zum Himmel gestreckt wanderte er um den weißen Prachtbau herum. Er war auf der Suche nach dem perfekten Panorama, nach der besten Aufnahme für seinen Instagram-Account. Als er endlich den passenden Blickwinkel gefunden hatte, war er so in die Sache vertieft, dass er gar nicht mitbekam, wie jemand hinter ihm stand und ausholte.
Wir zeigen 2015 Köln und andere spannende Orte in Deutschland aus ungewohnter Perspektive. Das blaue Dreieck, das “A” aus dem Logo von KAMPMEYER wird begleitet von unserer Autorin Anna-Katrin Keller und fotografiert von Csaba Peter Rakoczy.
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