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Was man als Immobilienmakler auf einer Netzkonferenz lernt – re:publica 2015

Lesedauer: 4 Minuten
20. Mai 2015

Um es gleich vorweg zu nehmen: Auf der re:publica sucht man Vorträge à la „Bestellen Sie noch oder vermieten Sie schon?“, Diskussionsrunden „Immobilienmarkt Deutschland – Investiert wird woanders!“ oder Panels zu „How to become a Immobilienmakler 2.0“ vergeblich. Nichtsdestotrotz: Wer Besucher auf der re:publica ist, egal aus welcher Branche, lernt den Blick über den Tellerrand – über den ganzen Küchentisch.

Die re:publica ist eine der wichtigsten Konferenzen zu Themen der digitalen Gesellschaft und findet jedes Jahr im Mai in Berlin statt. Unter dem Titel „finding europe“ verteilten sich 500 Stunden Programm, 850 Speaker aus 60 Ländern auf drei Tage Netzkonferenz. Den über 7.000 Besuchern wurden Themen von Netzpolitik, technologischen Innovationen, Kultur, Medien bis hin zu Gesundheit und Bildung geboten.

Opening re:publica15

 

Hinterm Tellerrand und noch viel weiter

Beste Rhetorik. Gunter Dueck spricht von Schwarmdummheit – das Gegenteil von Schwarmintelligenz, bei der sich Menschen vernetzen und erstaunliche Problemlösungen erarbeiten. Die Weisheit der Masse funktioniert aber nicht in der Konzernwelt, die von BWL-Maximen und volkswirtschaftlichen Profitstreben beherrscht wird. Er spricht vom Utopiesyndrom der Konzerne, die Ziele verfolgen, die weder auf Machbarkeit noch auf Logik geprüft werden und er spricht von Warteschlangen an der Supermarktkasse. Seine Warteschlangenformel schlussfolgert: Wenn die Auslastung über 85 Prozent steigt, dann fällt zusätzliche Mehrarbeit an, wodurch die Auslastung weiter steigt. Wenn das Tagesgeschäft die Zeit frisst, ist kein Platz für innovative Projekte oder Hilfsbereitschaft gegenüber Kollegen. Schwarmdummheit erreicht seinen Höhepunkt bei 100 Prozent Auslastung.  Hier geht’s zum Vortrag auf YouTube.

„Alles über 85 Prozent Auslastung führt ins Chaos“ Gunter Dueck

Gunter Dueck auf der re:publica 2015

 

Bester Hoax. Beim Titel „The Art of Trolling“ erwartete jeder eine didaktisch aufbereitete Präsentation über diejenigen im Netz, die in Foren, Newsblogs oder Wikis es mit wenigen Worten schaffen einen ganzen Sturm der Entrüstung der Mitdiskutanten auf sich zu ziehen. Trolle sind die, die Beiträge posten, mit denen sie – nicht immer erkennbar – nur provozieren wollen. Das Ziel ist es, Diskussionen um ihrer selbst willen auszulösen. Aber nein, gesprochen wurde nicht über Trolling im Netz, sondern übers Angeln. Hier passten Titel und Inhalt wie die Faust auf’s Auge. Hier geht’s zum Vortrag auf YouTube.

Gewagte These. In „Die Vermessung der Medienwelt“ wird über europäische Innovationen bzw. über deren Ausbleiben diskutiert. Brigitte Zypries, Parlamentarische Staatssekretärin, spielt Buzzword-Bingo, Christoph Keese, Executive VP Axel Springer SE, beklagt einen fehlenden „digitalen Binnenmarkt“ in Europa und wie schwer es sei Markenrechte in 28 europäischen Länden und 14 Sprachen zu sichern und der Soziologe Prof. Harald Welzer kritisiert die Transparenz im Internet als Gefahr für eine funktionierende Demokratie. Für ihn sei es antiquiert, nur darüber nachzudenken, vorne zu sein oder ein neues Google zu bauen, gebe es doch Themen wie diesen „profanen Klimawandel“, um die man sich doch auch kümmern müsste.

„Technik ist steindumm“ Prof. Harald Welzer

re:publica 2015 Day 2

Beste Story. Astronaut Alexander Gerst berichtet in „Blue Dot Mission – Sechs Monate Leben und Arbeiten auf der ISS“ detailgetreu vom Leben im Weltall. Wenn man ihn so sprechen hört und im Hintergrund ein Bild der Erde aus Sicht vom Saturn sieht – ein verdammt kleines blaues Pünktchen – dann kann man nur noch staunen. Es braucht acht Minuten vom Boden in den Weltall, sechs ein halb Stunden für das „Einparkmanöver“ an die ISS. Es geht um Unterwäsche, die er ein Jahr vor Start aussuchen musste und das ausgesprochen wortgewandt und unterhaltsam. Er zeigt Bilder wie die ISS durch eine Aurora fliegt und verrät, dass er einige Erdumrundungen und Google-Maps gebraucht hat, um Köln ausfindig zu machen. Hier geht’s zum Vortrag auf YouTube. 

„Mein Schlafplatz war 0,6 Quadratmeter groß, aber die Location zählt.“ Alexander Gerst

Etwas enttäuschend. Beim Talk mit Netflix CEO Reed Hastings gab es nicht viel Neues. Circa zwei Drittel aller Anwesenden hoben brav die Hand, als es um die Frage ging, wer im Raum ein Netflix-Konto hat. Wir haben gelernt, dass Hastings kein Büro hat, um früher nach Hause gehen zu können und, dass das größte Problem von Netflix der „Spotify-Effekt ist: Wie bei Musik, erwarten Kunden auch bei Serien und Filmen aus allem auswählen zu können. In diesem Zusammenhang kam dann auch die obligatorische Debatte über die Rechte zu House of Cards. Der Netflix-Trailer neuer Serien verriet überraschend wenig, ließ aber hoffen, das wir alle im Sommer nicht vor die Tür gehen müssen. Hier geht’s zum Vortrag auf YouTube. 

„The beauty of the internet is: it’s going to be personal.“ Reed Hastings

Was für Immobilienmakler. Mietwahnsinn und Gentrifizierung in München und Mittendrinn die Goldgrund Immobilien Organisation, die an der München Freiheit Neubaueigentumswohnungen für acht Millionen Euro verkauft. Website, Bauzaunbanner und Flyer loben in feinstem Marketing-Deutsch utopische Ausstattungsmerkmale und die Schaffung von Arbeitsplätzen im Bereich Facility Management. Im Rahmen der sozialen Verantwortung wird die Nachbarschaft zu Häppchen und Verkaufsgespräch eingeladen. Goldgrund gibt es natürlich nicht wirklich, sondern ist eine von Alex Rühle, SZ-Redakteur und Aktivist, ins Leben gerufene Aktion gegen Spekulationswahnsinn in Deutschlands Großstädten.

re:publica Open Space

Zukunftsgedanken. Gaming ist immer ein großes Thema auf der re:publica. Wie Games für das öffentliche Leben eingesetzt werden zeigt das Open-World-Spiel Minecraft, in dem Spieler aus Blöcken eine 3D-Welt bauen, Ressourcen sammeln oder neue Gegenstände entwickeln. Als Spiel entwickelt, hilft es heute schon durch Partizipation der Bewohner bei der Planung von Städten. Mit den Menschen zusammen werden Gebäude geplant und dann auch so umgesetzt. Bei der Bürgerbeteiligung durch Minecraft sind keine Grenzen gesetzt: In Haiti half es bei der Entwicklung eines Fischerdorfs, in Nairobi bei der Neugestaltung eines Slums. Wir sind in Deutschland Bauvorschriften und erheblichen bürokratischen Hürden unterworfen, aber wer sagt, das freie Nutzungsflächen in Städten mit knappem Wohnraum nicht irgendwann mithilfe seiner zukünftigen Bewohner geplant werden können?

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