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Corona und die Bundesstadt

Roland Kampmeyer und Thomas Ceppok im Gespräch mit Stadtbaurat Helmut Wiesner

Lesedauer: 7 Minuten
01. Juli 2020

Helmut Wiesner leitet das Dezernat für Umwelt, Stadtplanung und Verkehr und vermittelt im Interview einen Eindruck von den Herausforderungen in der Corona-Zeit und von der Bildung eines anhaltenden Dreiklangs aus Umwelt, Stadtplanung und Verkehr.

Die aktuelle Krise hat die räumliche Situation der Kommunikation in vielen Bereichen des Lebens verändert. Institutionen und Unternehmen haben sich teilweise ohne Verzögerung darauf eingestellt und ihre digitale Performance erhöht. Wirkt sich die Corona-Krise auch auf die operativen Prozesse und das Tagesgeschäft der Stadtplanung aus?

Helmut Wiesner: Ja, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen ist der Betrieb der Bauaufsichtsbehörde, also das Genehmigungsgeschäft betroffen. In diesem Bereich sind wir genauso von den Einschränkungen betroffen wie jeder andere Arbeitgeber. Das bedeutet, dass wir ganz besonders auf ausreichenden Schutz für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter achten, die eng zusammenarbeiten. Für Tätigkeiten im Homeoffice haben wir Regelungen und Organisationsstrukturen geschaffen, die einen engen Informationsaustausch ohne persönlichen Kontakt ermöglichen. Wir haben uns so organisiert, dass die spezialisierten Teams wechselseitig vom Büro und von zu Hause arbeiten. Durch die sofortigen Umstellungen und die Flexibilität der Mitarbeiter hat die Bauaufsichtsbehörde reibungslos wie gewohnt weitergearbeitet und ihre Verantwortung uneingeschränkt erfüllt. Die Genehmigungen der Anträge laufen in den neuen Organisationsstrukturen ungehindert weiter.

Zum anderen bringt die Pandemie Veränderungen der Bebauungsplanung mit sich, die von Bonner Bürgerinnen und Bürgern und uns eine hohe Anpassungsfähigkeit fordern. Weil es anspruchsvoller geworden ist, allen Formvorschriften und der Bürgerbeteiligung vollkommen gerecht zu werden, wurden die Verfahren in der Corona-Zeit operativ verändert. Für die frühzeitige Planung erforderliche Versammlungen sind zeitweise nicht möglich gewesen und unterliegen immer noch starken Einschränkungen. Um dem Handlungsbedarf und planungsrechtlichen Anforderungen gleichermaßen gerecht zu werden, haben wir nach eingehender Abstimmung mit den Entscheidungsträgern im Rat beispielsweise alternative Beteiligungsformen aufgelegt.

Bei der Kennedy-Allee, dem Postbank-Areal, das wir derzeit überplanen, war ursprünglich eine klassische Bürgerversammlung vorgesehen. Jetzt sorgen wir virtuell für einen vollwertigen Ersatz. Zu diesem Zweck haben wir Angebote auf der Homepage entwickelt. Zu den Online-Lösungen gehören Chaträume, in denen Bürgerinnen und Bürger Fragen stellen können, die in bestimmten Zeitfenstern beantwortet werden. Darstellungen wie große Pläne oder Modelle, die heutzutage noch gerne auf Papier oder als dreidimensionale Nachbildungen betrachtet werden, präsentieren wir hier im Stadthaus und vor Ort in gläsernen Schaukästen. So ermöglichen wir weitere Planungsschritte. Damit betreten auch die Kolleginnen und Kollegen im Planungsamt absolutes Neuland.

Um keine Flanken für Klagen gegen die Bebauungspläne zu öffnen, stellen wir auch gemeinsam mit dem Bund sicher, dass alles rechtlich einwandfrei geregelt und durchgeführt wird. Die Bundesregierung hat zu diesem Zweck ein Artikelgesetz verabschiedet, das Planungen mit Bürgerbeteiligungen ohne körperliche Anwesenheit und mit virtuell durchgeführten Versammlungen erlaubt. Das gilt zumindest für auf Bundesrecht basierende Vorhaben, zu denen auch Bebauungspläne und Planfeststellungsverfahren gehören. Die schnelle Reaktion bietet eine rechtlich saubere Planungsgrundlage, die eine neue, auf bundesrechtliche Verfahren bis März 2021 begrenzte Rechtslage schafft.

Können durch die neuen Erfahrungen vielleicht virtuelle, stadtplanerische Denkfabriken zum Beispiel mit dem Ziel einer höheren und besseren Bürgerbeteiligung etabliert werden? Die Frage zielt ein wenig auf den zweiten Teil Ihrer Antwort ab. Könnten Sie das mit Blick auf die Zukunft der Stadtplanung etwas konkretisieren?

Helmut Wiesner: Bei allen Nachteilen und Problemen, die diese Pandemie mit sich bringt, glaube ich, dass sie lösungsorientiertes Denken und die Umsetzung digitaler Chancen beschleunigt. So zeigt die Tatsache, dass wir uns gerade per Videoschaltung unterhalten, dass die Funktionen einer solchen Lösung und ihre Möglichkeiten ganz selbstverständlich eine breitere Anwendung finden. Ich habe heute beispielsweise ein Gespräch mit einem Ministerium in Berlin geführt, für das ich früher in der Tat eine Dienstreise gemacht und sie wochenlang vorgeplant hätte. Also ich glaube, dass wir flexibler und schneller werden, aber auf der anderen Seite muss ich auch sagen, dass wir den persönlichen Kontakt nicht vernachlässigen dürfen. Das gilt für alle Ebenen.

Ich kann mir keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorstellen, die nur noch im Homeoffice sind. Der individuelle Kontakt, das Einander-Kennenlernen und das Deuten von Gesten sind online anders als von Angesicht zu Angesicht. Das dürfen wir nicht ausblenden, das ist ein Teil der Kommunikation, der uns jetzt fehlt. Ich glaube, virtuelle Formate funktionieren dann gut, wenn man sich bereits persönlich kennt. Wir haben uns schon mal persönlich getroffen, das ist schon eine andere Voraussetzung, miteinander zu sprechen, als wenn man sich bei erstmaliger Begegnung nur auf dem Monitor sieht.

Ein Zukunftsthema der Bundesstadt ist und bleibt die Wohnflächenentwicklung. Die Bonner Bevölkerung wächst. Wo werden die Wohnflächen für die neuen Einwohner entwickelt?

Helmut Wiesner: Das ist ein spannendes Thema und eine sehr herausfordernde Aufgabe. Wir haben die bundesgesetzliche Vorgabe, Innen- vor Außenentwicklung zu betreiben. In der „Perspektive 2040“ prognostiziert IT.NRW in 20 Jahren einen Zuwachs von 35.000 auf 365.000 Einwohner. Innen- vor Außenentwicklung bedeutet, dass wir nicht, wie in den 70er- oder 80er-Jahren einen jungfräulichen Acker im Außenbereich relativ schnell und vielleicht auch vom Bodenausgangswert relativ preiswert entwickeln können, sondern wir müssen in dieser Stadt die Möglichkeiten ausschöpfen, im innerörtlichen Bereich zu verdichten und Konversionsflächen zu entwickeln.

Die großen Potenziale, die die Stadt bietet, haben wir in den vergangenen Jahren erschlossen. Das sind beispielsweise die im Bau befindliche Gallwitz-Kaserne oder auch das „West-Side“, wo circa 500 Wohnungen entstehen. Am Vogelsang entwickeln wir mit der eigenen städtischen Wohnungsbaugesellschaft und einem Dritten zusammen eine Fläche, auf der wir ein Volumen an Wohneinheiten auf den Markt bringen, das im höheren dreistelligen Bereich liegt. Das ist dann wohltuend. Solche Projekte sind sehr arbeits- und zeitintensiv. Das „West-Side“ ist zum Beispiel eine ehemalige Chemiefabrik mit entsprechenden Altlasten im Boden. Es hat lange gedauert, bis jemand gefunden wurde, der das Areal so sanieren kann, dass man hinterher auch wirtschaftlich neu bauen kann. Auf solchen Flächen kann natürlich im großen Maßstab etwas für den Wohnungsmarkt getan werden. Die Verfahren sind zeitintensiv. Weniger wegen der Randbedingungen wie Altlasten, aber Verdichtung heißt auch immer ein sehr intensiver Dialog mit Anwohnerinnen und Anwohnern. Verfolgt man diesen Dialog, so beschleicht einen das Gefühl, in einer hochverdichteten Stadt zu wohnen, in der nichts mehr geht. Das stimmt objektiv aber überhaupt nicht. Bei den Dichtewerten liegen wir weit unter dem, was uns die Regionalplanungsbehörde auf Landesplanungsebene insgesamt ins Pflichtenheft schreibt. Da wird von 60 Einwohnern pro Hektar gesprochen. Diesen Wert haben wir vielleicht in der Südstadt überschritten, aber in weiten Teilen des Stadtgebiets kommen wir da nicht ran. Oder wenn ich mal einen anderen Dichtewert nehme, wobei der Vergleich aber etwas schwierig ist: Mailand empfinde ich beispielsweise als städtebaulich hochqualitative Stadt, wo man gerne hinfährt, einkauft und sich wohlfühlen kann. Rein rechnerisch leben dort 7.000 Einwohner pro Quadratkilometer, während Bonn 2.000 bis 2.500 hat. Dichte ist also nicht unbedingt immer negativ. Sowohl städtebaulich als auch in Bezug auf die Qualität der Stadt.

Wir müssen die Diskussion in Zukunft viel stärker ökologisch ausrichten. Verdichtung und Innenstadtentwicklung dürfen wir nicht nur in Steinen denken. Mitgedacht werden muss auch die grüne Infrastruktur und wir brauchen so etwas wie klimagerechtes Bauen. Es geht also nicht nur um die Frage der Bauleitplanung und damit um die Flächen, die in Anspruch genommen werden, sondern auch um die Anforderungen, die Gebäude erfüllen müssen. Dabei sind zum Beispiel Energiestandards, Fassaden- und Dachbegrünung oder Nachhaltigkeitsstandards wesentliche Themen. Mit derart zukunftsfähigen Gebäuden und der Aufwertung von Freiräumen, auch im Hinblick auf Biodiversitätsanforderungen, müssen wir im innerstädtischen Bereich dafür sorgen, dass der Stadtraum trotz Nachverdichtung die notwendige Klimaanpassung erfährt und ausgestaltet wird. Die inzwischen wohl unausweichlichen heißen Sommer erzeugen Hitzeinseln und Starkregenereignisse. Das kam man infrastrukturell abmildern und erträglicher machen.

Die Bedeutung neuer Mobilitätskonzepte in bevölkerungsreichen Landkreisen und Großstädten wird seit Jahren leidenschaftlich diskutiert. Dabei geht es sowohl um den Personen- als auch um den Warenverkehr. Wie wird das autonome Fahren oder die Lieferung durch Drohnen eine Stadt wie Bonn verändern?

Helmut Wiesner: Das sind jetzt neue technische Lösungen im Rahmen der Verkehrswende, die viele Aspekte haben und diskutiert werden müssen. Beim autonomen Fahren bin ich ein Skeptiker. Vor vier Jahren hatte ich ein Gespräch mit einer Beratungsfirma, die zum Thema autonomes Fahren Beratungsdienstleistungen anbieten wollte. Der Geschäftsführer wollte mit mir wetten, dass 2021 das autonome Fahren sozusagen etabliert ist. Ich habe ihm entgegengehalten, dass, solange unsere U-Bahnen und Straßenbahnen nicht ohne Fahrer fahren, auch beim autonomen Fahren nichts Maßgebliches passiert.

Anfang des Jahres war ich auf einer Tagung mit Prof. Dr. Günther Schuh von der RWTH Aachen, der sich mit autonomem Fahren befasst und es entwickelt. Stichwort e.Go: Er hat Mobilitätshubs mit autonomen Kabinen wie Kleinbusse und Taxen vorgestellt, aber auch ganz offen gesagt, wo bei der Weiterentwicklung aktuell die Probleme sind. Stand heute: Ein autonomes Fahrzeug schafft keinen Kreisverkehr unfallfrei und kann nicht links abbiegen. Ich glaube, an der Stelle ist, bei allem menschlichen Versagen, das man im Straßenverkehr befürchten kann, der Mensch auf Sicht noch nicht ersetzbar. Wenn ich mir die ethischen Probleme bei Fragen der Programmierung dann noch einmal vor Augen führe, wenn ich mir Haftungsfragen noch einmal vor Augen führe, glaube ich, dass an meiner These von vor vier Jahren noch nicht viel zu korrigieren ist: Autonomes Fahren ist ein spannendes Thema, aber wir sehen, dass es noch nicht funktioniert.

Die zunehmende Durchmischung von Wohnen und Arbeiten stellt immer wieder neue Herausforderungen an uns alle. Das betrifft auch die Entwicklung einer zukunftsfähigen Stadt. Worin bestehen für Sie die wichtigsten Anforderungen?

Helmut Wiesner: Da möchte ich auf den Rahmenplan Bundesviertel Bezug nehmen: Gegenwärtig haben wir dort 45.000 Arbeitsplätze und um die 5.000 Einwohner. Als wir den Rahmenplan aufgesetzt haben, haben wir dazu passend diskutiert, ob weitere 16.000 Arbeitsplätze und 5.000 Einwohner der richtige Weg sind. Damit würden wir den Anteil der Einwohner verdoppeln und das Ungleichgewicht von Arbeit und Wohnen im gesamten Bundesviertel zwar etwas korrigieren, aber die Entwicklung dennoch, wenn auch abgemildert, fortschreiben. Deshalb hatten wir nach der Diskussion den politischen Auftrag, hier noch einmal nachzusteuern.

Wir sind gerade in Gesprächen mit dem beauftragten Büro Cityförster, um dies noch einmal maßgeblich zu ändern. Ich kann noch keine Zahlen nennen, aber Ziel ist es, ein viel ausgewogeneres Verhältnis zwischen Wohnen und Arbeit hinzubekommen. Im Optimalfall so, dass diejenigen, die neu ins Viertel zum Arbeiten hinzukommen, auch eine realistische Chance haben, dort zu wohnen. Zum einen ist dies ein Mittel zur Verkehrsvermeidung, weil die Anwohner dort zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen können. Zum anderen führt es zu einer Belebung des Stadtviertels.

Durch die derzeitige, unterrepräsentierte Wohnsituation ist beispielsweise das Wohngebiet Berliner Ring sehr abgekapselt. Hier wird es darauf ankommen, dass man zukünftig die Standorte nach Möglichkeit nicht mehr monostrukturell entwickelt. Warum nur ein reines Bürogebäude entwickeln, wenn man Büro und Wohnen auch miteinander kombinieren kann? Im Sinne der Nachhaltigkeit können Gebäude auch direkt so nachhaltig konzipiert werden, dass, wenn zum Beispiel Büroflächen in ferner Zukunft überflüssig werden sollten, weil vielleicht noch mehr auf Homeoffice gesetzt wird, diese in Zukunft in Wohnraum umgewandelt werden. In diesem Zusammenhang gehören auch die Nahversorgung und kulturelle Einrichtungen mitgedacht. Wir haben heute beispielsweise das GOP Varieté-Theater Bonn, aber in einem so wachsenden Viertel gehört noch viel mehr Angebot dazu und natürlich auch die entsprechende soziale Infrastruktur. Wir werden Kitas brauchen, vielleicht sogar über eine Grundschule nachdenken müssen. Wenn sich das Viertel in diese Richtung entwickelt, dann wird es ein anderes sein als heute. Nämlich keine leblose Bürostadt, wo abends, wenn der Letzte die Tür zumacht, das Licht ausgeht, sondern ein belebtes Viertel zum Wohnen, Arbeiten und Wohlfühlen. Das ist die Intention.

Wir danken für das Gespräch!

Der Immobilienmarktbericht Bonn 2020 lässt sich unter  https://www.kampmeyer.com/marktbericht-bonn/ downloaden.

Helmut Wiesner

Helmut Wiesner, geboren am 03. November 1961 wurde im Februar 2016 zum Stadtbaurat der Stadt Bonn gewählt. Er führt das Dezernat Planung, Umwelt und Verkehr, zu dem unter anderen das Stadtplanungsamt und das Tiefbauamt gehören. Wiesner ist Vorsitzender des Verwaltungsrats der bonnorange AÖR. Darüber hinaus ist er Mitglied im Bau- u. Verkehrsausschuss des Städtetags NRW sowie im Verkehrs- und Umweltausschuss des Städtetags NRW. Wiesner hat Raumplanung an der Uni Dortmund studiert und 1988 mit Diplom abgeschlossen. Er leitete das Umweltamt in Brühl ab 1996, von 2013 bis 2016 war er Technischer Beigeordneter in Troisdorf. Der dreifache Vater wohnt mit seiner Frau und drei Kindern in Brühl.

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